Häuslings- bzw. Heuerlingswesen

Eines der zentralen Themen für die Arbeit des KHB ist die Rettung der wichtigsten Bau- und Bodendenkmäler unseres Kreisgebietes. Hervorzuheben sind hier die für den Landschaftscharakter so wertvollen Fachwerkbauten und die noch vorhandenen Wasser- und Windmühlen. Durch die in den letzten Jahren zunehmende Sensibilisierung im Umgang mit alter Bausubstanz insbesondere auch im Rahmen der Dorferneuerung konnten neue Akzente gesetzt werden. Aber auch für die Förderung von Museen sowie die Anregung zur Errichtung von Heimatstuben setzt sich der Kreisheimatbund mit seinen Mitgliedsvereinen ein. Mit fachlichen Schriftsätzen, insbesondere im eigenen Mitteilungsblatt: ZWISCHEN HUNTE UND WESER, wird Verständniswerbung für die Erhaltung der Kulturdenkmale betrieben. Dies ist deshalb wichtig, weil sich die meisten Objekte dieses erhaltenswerten Allgemeinbesitzes in privatem Eigentum befinden.



Geschichte einer Heuerlingsstelle

Herbert Brückner aus Schwarme, das unweit von Bremen gelegen aber der Samtgemeinde Bruchhausen-Vilsen und damit dem Landkreis Diepholz zugehörig ist, zählt zweifelsohne zu den verdienten Persönlichkeiten in der Region rund um die Hansestadt Bremen. So war er beispielsweise von 1975 bis 1985 Bremer Senator für Umweltschutz, Gesundheit und Sport unter der Ägide des Senatspräsidenten Hans Koschnik und in dieser Funktion seinerzeit maßgeblich am Zustandekommen des neuen Bremer Naturschutzgesetzes beteiligt. Darüber hinaus füllte er im Anschluss bis zum Jahr 1987 das Amt eines Bremer Senators für Gesundheit und Sport im Kabinett von Klaus Wedemeier aus, bekleidete von 1986 bis 1988 den Posten des Landesvorsitzenden der SPD in Bremen und engagierte sich in den Jahren 1971 bis 1975 und 1987 bis 1990 als Mitglied der Bremer Bürgerschaft besonders in der Jugend- und Sozialhilfe. 

 

Die Wurzeln von Herbert Brückner befinden sich allerdings in einem kleinen Doppelhäuslingshaus auf einem Vollmeierhof in Groß Borstel in der Gemeinde Schwarme (heute Borsteler Straße 22), wo er im Jahr 1938 zur Welt kam. In der Folge wuchs er hier in sehr einfachen und beengten Wohnverhältnissen auf (bis zu acht Personen mussten sich in dieser Zeit den zur Verfügung stehenden bescheidenen Wohnraum im Haus teilen), bis es ihm im Jahre 1957 zum Studium an der Diakonenfachschule nach Hannover verschlug, nachdem er zuvor eine Lehre als Industriekaufmann erfolgreich absolviert und diesen Beruf eine Zeit lang ausgeübt hatte. >>>

Die rechte Haushälfte mit dem später errichteten Anbau um 1960.
Die rechte Haushälfte mit dem später errichteten Anbau um 1960.
Handskizze von Wilfried Brückner: Die rechte Haushälfte mit dem rot markierten Anbau. Alle Fotos stammen von Herbert Brückner.
Handskizze von Wilfried Brückner: Die rechte Haushälfte mit dem rot markierten Anbau. Alle Fotos stammen von Herbert Brückner.

Interessantes

...über 400 Jahre Heuerlingwesen erfahren Sie hier:

www.heuerleute.de


Dokumentation

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Vom Leben "ganz unten"
27.11.2015
KREISZEITUNG
Ralf Weber arbeitet das Schicksal der Häuslinge im Landkreis auf.
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Bewohner des Häuslingsauses um 1925: (von rechts) Johann und Anna Büntemeyer, davor ihre Kinder Fritz und Sophie, Tochter Erna, Oma Brinkmann mit Fritz Mühlenstedt, Dietrich und Mariechen Mühlenstedt. Das Mädchen ist unbekannt.
Bewohner des Häuslingsauses um 1925: (von rechts) Johann und Anna Büntemeyer, davor ihre Kinder Fritz und Sophie, Tochter Erna, Oma Brinkmann mit Fritz Mühlenstedt, Dietrich und Mariechen Mühlenstedt. Das Mädchen ist unbekannt.

Sein Elternhaus hatte zunächst zum Vollmeierhof der Familie Plate gehört. Der Großvater von Herbert Brückner, Johann Büntemeyer, war von 1912 bis 1931 als Häusling auf diesem Hof tätig. Er bewohnte mit seiner Familie in dieser Zeit die rechte Hälfte des Häuslingshauses, während der Häusling Dietrich Mühlenstedt mit seiner Frau Mariechen Mühlenstedt geb. Brinkmann ab ca. 1910 in der linken Haushälfte lebten. 

 

Im Jahr 1930 verließen Dietrich und Mariechen mit ihrem Sohn Fritz, der 1925 geboren wurde, den Hof Plate und nahmen woanders ein Häuslingsverhältnis auf. Statt Ihrer wohnten anschließend Johann Kothe und seine Frau Meta aus Bahlum in der linken Haushälfte. Das ursprüngliche Doppelhäuslingshaus (auch „Tweepart“ oder „Dubbelpatthüs“ genannt) bestand aus Fachwerk mit einem Strohdach und beinhaltete neben der Diele und zwei Stallräumen lediglich einen Wohnraum und eine Schlafbutze. Möglicherweise wurde es in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erbaut. In der Zeit um etwa 1850 bis 1900 sind an beiden Haushälften Anbauten aus Stein errichtet worden, durch die zusätzlicher Wohnraum entstand.

 

Zudem besaß das Haus nunmehr einen Schornstein und das Strohdach wurde durch Dachziegeln ersetzt. Bis in die 1960er Jahre hinein mussten sich die Familien ihr benötigtes Wasser aus dem Ziehbrunnen einer Nachbarstelle herbeischaffen, der sich in zirka 100 m Entfernung befand. Auch einen Abwasseranschluss existierte erst ab dem Jahr 1963 – bis dahin mussten Mann und Frau ihre Notdurft in einem Plumpsklo verrichten. Eine elektrische Stromversorgung wurde 1948 eingerichtet. 

 

Der Häusling Büntemeyer hatte bis zu Beginn der 1930er Jahre hier auf seiner Stelle eine bescheidene Landwirtschaft betrieben, mit einer Kuh (später waren es zwei), ein Schwein und einigen Hühnern. Vor allem aber verrichtete er verschiedene Arbeiten auf dem Hof seines Bauern Dietrich Plate, bis er schließlich im Jahr 1931 unter tragischen Umständen versterben sollte, in dem er aus der Bodenluke stürzte. Er hinterließ seine Frau Anna Büntemeyer geb. Schäding, die fort an mit ihren acht Kindern als Witwe das Leben auf der Häuslingsstelle bestreiten musste. Durch die Heirat ihrer ältesten Tochter Anna (Erna) Büntemeyer im Jahr 1932 hatte die Stelle nunmehr in Annas Ehemann Johann Brückner den künftigen Häusling.

 

Johann und Anna (Erna) Brückner, die von nun an die rechte Hälfte des Häuslingshauses bewohnten, sollten neben ihren Sohn Herbert, noch fünf weitere Kinder haben. Im darauffolgenden Jahr, also 1933, besaß der Hof mittlerweile einen neuen Eigentümer. Dietrich Plate war mittlerweile verstorben und seine Witwe hatte Theodor Lampe geheiratet. Anders als Plate, der den Betrieb als Bauer selbst führte, verpachtete Lampe den Hof und das Grundstück und lebte von den Pachteinnahmen. Für den Häusling Johann bedeutete dies, dass er als Dienstverpflichtung keine Hofarbeit mehr leisten musste, sondern für seinen neuen Heuerherrn nunmehr lediglich dessen Reitpferde zu versorgen, etwa „Heu machen“, Ställe säubern usw., sowie die Vor- und Nachbereitungen für das Ausreiten Lampes zu treffen hatte. Hierbei mussten die ältesten Söhne Brückners sehr oft mithelfen, da der Häusling neben dem Betreiben seiner eigenen kleinen Landwirtschaft noch einige Nebentätigkeiten bestritt. So war er beispielsweise als landwirtschaftlicher Helfer bei anderen Bauern, oder zeitweise beim Meliorationsverband sowie danach in Bremen als Arbeiter tätig. Anna Brückner sollte dagegen der Frau des Bauern Lampe viele Jahre lang regelmäßig im Haushalt und in der Pflege helfend zur Hand gehen. 

 

Das Häuslingshaus (also beide Haushälften) wurden im Jahr 1963 von Johann Brückner selbst, dem früheren Häusling, gekauft, zum größten Teil abgerissen und die linke Haushälfte durch einen totalen Umbau zum Wohnhaus im zeitgemäßen Stil verändert. In den Jahren 1978 und 1980 sollte Johanns Sohn Wilfried (Jahrgang 1949) auf dem Grundstück der ehemaligen rechten Haushälfte ein neues Wohnhaus anbauen lassen.

 

Herbert Brückner indes, den es zeitweise beruflich bedingt in die Großstädte zog, kehrte stets nach Schwarme zurück. Hier lebt er heute noch. Die Auseinandersetzung mit dem Häuslingswesen bedeutet für ihn eine Heimkehr zu seinen Wurzeln. 

 

Recherchiert und aufgeschrieben von Ralf Weber

(Der Bericht ist auch im Mitteilungsblatt des KHB "Zwischen Hunte und Weser", Heft 70 / Mai 2015, erschienen.)